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5. Stereotests

Stereotests sollen die Befähigung zu querdisparatem Tiefensehen nachweisen und diese Eigenschaft quantifizieren.

Querdisparates Tiefensehen (= Stereopsis) stellt die höchstentwickelte Binokularfunktion dar. Es ermöglicht das korrekte visuelle Erkennen der räumlichen Staffelung von Objekten und gewährleistet somit Handlungssicherheit in der räumlichen Tiefe. Vom visuellen System wird hierbei der querdisparate Versatz der Netzhautbilder beider Augen von unterschiedlich weit entfernter Objekte ausgenutzt (s. diesbezüglich auch (7)). Wie Tab. 1 zu entnehmen ist, kommt hierbei der Testentfernung eine wesentliche Bedeutung zu.

Stereotests werden in der ophthalmologischen Diagnostik zum Nachweis und zur Quantifizierung von querdisparatem Tiefensehen eingesetzt. Darüber hinaus finden sie in der Eignungsbegutachtung sowie bei gutachterlichen Fragestellungen Anwendung. Stereotests sind auch bei bestimmten Simulationsformen einzusetzen, insbesondere bei der Vorgabe einer einseitigen hochgradigen visuellen Funktionsstörung.

Stets ist auf eine korrekte Untersuchungsentfernung und eine blendfreie Beleuchtung zu achten. Selbstverständlich bedarf es der adäquaten Brillenkorrektion. Es ist empfehlenswert, den eingesetzten Trenner (Rot- Grün- oder Polarisations- Brille) im Eigenversuch auf seine ausreichende Wirkung hin zu überprüfen. Eine vollständige Trennung ist allerdings bei herkömmliche Polarisations- und Rot- Grün- Brillen nicht zu erwarten. Zusätzlich ist beim Rot- Grün- Verfahren zu berücksichtigen, daß verhältnismäßig leicht ein binokularer Wettstreit ausgelöst werden kann. Der Stereotest sollte anhand einfach zu erkennender Figuren (mit großer Querdisparation) erklärt werden.

Besteht der Verdacht, daß ein Test auswendig gelernt wurde, so sollte zumindest die Reihenfolge der abgefragten Einzeltests variiert werden. Alternativ kann man auch den Test auf den Kopf stellen, den Trenner wenden (hierbei kehrt sich der Tiefeneindruck um, ursprünglich vor der Testebene schwebende Objekte liegen nunmehr hinter der Testebene) oder den Test um 90° drehen (der räumliche Eindruck verschwindet).

Generell lassen sich Stereo- Fern- (Testentfernung ab ca. 3 m) und Nah- Tests (Untersuchungsabstand entspricht der Lesedistanz) unterscheiden. Die Eigenschaften und Merkmale der einzelnen Verfahren sind in Tab. 2 und Tab. 3 a, b wiedergegeben.

Je nach verwendetem Testreiz kann wie folgt unterschieden werden:

Der Treffversuch nach Lang (10) kann als Grobtest hilfreich sein, wenn der Proband bei Flächentests versagt: Der Proband soll mit ausgestrecktem Arm eine Kugelschreiberspitze in die vom Untersucher nach oben gehaltene Öffnung eines weiteren Kugelschreibers in möglichst flüssiger Bewegung einführen. Läuft dieser Vorgang beidäugig besser ab als bei Abdecken eines Auges, so ist zumindest grobes querdisparates Tiefensehen im Nahbereich vorhanden. Der Test fällt auch bei kleinwinkligem Strabismus mit anomaler Korrespondenz noch positiv aus.

Diese Verfahren setzen gegeneinander versetzte, flächige und kontrastreiche Konturen ein, beim Titmus- Test: Fliege, Ringe oder Tiere. Auch bestimmte Ferntests (Polatest) greifen auf dieses Hilfsmittel zurück. Sie setzen vor beide Augen phasenversetzt oszillierende Flüssigkristall- Shutterbrillen (CompuVist) oder auch Polarisationsbrillen (Pola- Test) ein. Der Kolling- Ferntest ist freisichtig und benötigt keinen Trenner.

Bei randomisierten Stereotests entsteht die wahrzunehmende Gestalt erst durch und nach der Stereoverarbeitung der dargebotenen Punktmuster. Bei den Nahtest kommen als Trenner Polarisationsbrillen (Random dot-, Titmus-, Randot- Test) oder Rot- Grün- Brillen (TNO- Test) zum Einsatz. Die Ferntest verwenden ebenfalls Polarisations- oder die oben beschriebenen Flüssigkristall- Shutterbrillen.

Die haploskopischen Lang- und DeKa- Tests funktionieren ohne trennende Brille nach dem Zylinder- Raster- Verfahren (nach Hess). Dies erleichtert besonders bei Kindern die Untersuchung, da keine störende Brille aufgesetzt werden muß. Auch ohne verbale Kommunikation kann der Untersucher die Augenbewegungen der Testperson gut beobachten und so indirekt auf vorhandene Stereopsis schließen.

Neben der Querdisparation werden beim Tiefensehen noch andere Hinweise genützt, insbesondere Parallaxe, Überdeckung, Perspektive, Schattenwurf, Höhe über dem Horizont und Farbsättigung. Die hier zu besprechenden Stereotests sind alle so konzipiert, daß nach Möglichkeit nur das Erkennen von Querdisparationen geprüft wird.

Nachfolgende Hinweise sollen helfen, Bedienungsfehler zu vermeiden, und sollen gewährleisten, daß mit Hilfe von Stereotests auch tatsächlich nur querdisparates Tiefensehen gemessen wird. Hierbei ist zu bedenken, daß hierbei eine echte Schwellenbestimmung (Stereosehschärfe) schwierig ist (2). Auch sollte berücksichtigt werden, daß mit den hier aufgeführten Testverfahren lediglich die statische Stereopsis geprüft wird. Dynamisches Stereosehen, für das im visuellen System offensichtlich andere neuronale Strukturen zur Verfügung stehen, ist hiermit jedoch vergleichsweise schlecht korreliert (7).

Generell ist darauf zu achten, daß die beidseits optimale Korrektion für die gebotene Testentfernung getragen wird. Eine ausreichende, blendfreie Beleuchtung sollte gewährleistet sein.

Titmus- Test, Random dot- Test
Auch einäugig können die querdisparat abgebildeten Ringe oder Tiere als seitlich versetzt abgebildet erkannt werden. Ebenso erscheint vielen Einäugigen die Titmus- Fliege sozusagen aus normaler Erfahrung heraus räumlich. Hier kann der räumliche Eindruck durch den Vergleich des ein- und beidäugigen Sehens sowie durch die Aufforderung, die Flügel anzufassen, abgefragt werden. Bei den Ringen oder Figuren sollte nachgefragt werden, ob diese aus der Testebene heraustreten oder lediglich seitlich versetzt sind. Bei einigen Probanden mit reduziertem stereoskopischen Sehvermögen kann der betreffende Ring räumlich nach vorne und gleichzeitig auch seitlich (in Richtung des nicht dominanten Auges) versetzt sein. In diesen Fällen hilft der Vergleich des beidäugigen Seheindrucks mit dem nach monokularer Abdeckung des nicht dominanten Auges.

Einäugig kann z.B. beim Titmus- Test die seitliche Versetzung des Rings in der Umrahmung ungefähr bis Testfigur 5 (100„) erkannt werden. Angesichts der geringen Anzahl von Auswahlmöglichkeiten (1: 4) ist die Ratewahrscheinlichkeit sehr hoch (25%) und damit die Testgenauigkeit eingeschränkt. Eine unmittelbare Wiederholung der Prüfung am selben Tag ist wegen der Erlernbarkeit nicht ratsam. Verfahren, die mit gleicher Exaktheit (Abbruchkriterium) das querdisparate Tiefensehen prüfen, wie dies bei der Sehschärfebestimmung mit Landoltringen der Fall ist, gibt es bei den heute meist gebräuchlichen Nah- Stereotests nicht.

Ein abwechselndes Zukneifen der Augen ist nicht erlaubt (querdisparate Elemente springen dabei in horizontaler Richtung), ebenso wenig ein Hin- und Herbewegen des Tests durch die Hand des Untersuchten! Der Test darf gegenüber der Polarisationsbrille nicht verdreht werden, da sonst keine ausreichende Bildlöschung mehr möglich ist.

Mit Stereotests mit flächigen Objekten fallen die Untersuchungsergebnisse deutlich besser aus als bei Verwendung von Random- dot- Tests, bei denen die wahrzunehmende Gestalt erst und ausschließlich durch Stereoverarbeitung entsteht. Es besteht somit die Möglichkeit, mit den Flächentestverfahren einen Mikrostrabismus zu übersehen.

Lang- Test
Die Tests dürfen weder vom Patienten noch vom Untersucher bewegt werden, da sonst die Objekte durch das Hin- und Herspringen erkannt werden. Der Patient muß senkrecht und in richtiger Entfernung auf den Test schauen. Die längere Kante der Tests muß parallel zur Interpupillarlinie ausgerichtet werden. Auch bei subnormalem Binokularsehen gibt der Patient häufig an, einige Bereiche des Tests nach vorne versetzt zu sehen, aber die betreffenden Objekte werden nicht erkannt oder falsch benannt. Durch den Vergleich von ein- und beidäugigem Seheindruck ist zu objektivieren, ob das nicht erkannte Objekt korrekt lokalisiert wird.

Fangfragen sind auch bei diesem Verfahren möglich, indem man den Test um 90° dreht (kürzere Kante des Test steht parallel zur Interpupillarlinie (keine Stereo- und damit keine Objektwahrnehmung mehr möglich) oder auf den Kopf stellt (Objekte stehen auf dem Kopf, treten aber weiterhin nach vorne heraus).

Die Befundergebnisse sind unter Angabe der verwendeten Korrektion zu dokumentieren.

Hier können Plausibilitätskontrollen durch Vergleiche mit Vorbefunden, Verwendung mehrerer Stereotests sowie Berücksichtigung weiterer ophthalmologischer Befunde, z.B. Visus, Gesichtsfeld, Fundusmorphologie, Fixationsverhalten durchgeführt werden.

  1. Bömer T, Gentner C, Jedynak A, Kommerell G (1993) Der Freiburger Stereotest. Zur Beurteilung des Stereosehens bei Führerscheinbewerbern. Klin Monatsbl Augenheilkd 202:511-519
  1. Bömer T, Dölp R, Kommerell G (1995) Die psychometrische Funktion des querdisparaten Tiefensehens bei Normalpersonen. Ophthalmologe 92:120-124
  2. Brückner R (1989) Die Korrektion von Heterophorien mit Fixationsdisparation. Optometrie 1:67-82
  3. Doege E, Krause O (1977) Ein neuer Weg zur binokularen Funktionsprüfung. Folia ophthal. 2:199-202
  4. Doege E, Krause O (1983) Über ein neues System zur Überprüfung visueller Leistungen auf Walzenlinsenraster- Basis. Klin Monatsbl Augenheilkd 183:224-228
  5. Fleck R, Kolling G (1996) Two new stereotests for long distance: examination of stereopsis with regard to the permission of driving. German J Ophthalmol 5:53-59
  6. Herzau V (1995) Sensorik des Binokularsehens. In: Kaufmann H (Hrsg) Strabismus. 2. Aufl. Enke, Stuttgart, S. 118-160
  7. Kolling GH, Stratmann M (1987) Zur Untersuchung des Stereosehens mit einem Stereoferntest für die Belange des Straßenverkehrs. Fortschr Ophthalmol 84:392-395
  8. Lang J (1983) Ein neuer Stereotest. Fortschr Ophthalmol 80:269-270
  9. Lang J (1983) Der Treffversuch zur Prüfung des Stereosehens. Klin. Monatsbl. Augenheilkd 182:373
  10. Lang J, Rechichi C, Stürmer J (1991) Natural versus haploscopic stereopsis. Graefes´s Arch Clin Exp Ophthalmol 229:115-118
  11. Römhild H, Feldes D (1988) Messung des stereoskopischen Sehens mit Hilfe eines Stereo- Fernprüfgerätes und eines neuen Stereo- Nahprüfgerätes. Klin Monatsbl Augenheilkd 192:68-71
  12. Schiefer U, Brenner- Delarbre B, Schütte E, Aulhorn E (1989) Vergleich des Stereo- Ferntests nach Kolling mit herkömmlichen Stereotest- Verfahren. Fortschr Ophthalmol 86:138-145
  13. Stumpf K, Mallmann A (1976) Erfahrungen mit dem TNO- Stereotest. In: Berufsverband der Orthoptistinnen (Hrsg.) Orthoptik - Pleoptik, S 71-73