Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.

Link zu dieser Vergleichsansicht

Nächste Überarbeitung
Vorhergehende Überarbeitung
el_txt_elektrophysiologie [2023-11-14 09:13]
Herbert Jägle angelegt
el_txt_elektrophysiologie [2025-08-04 14:38] (aktuell)
Herbert Jägle [ISCEV-Leitlinien und -Standards]
Zeile 1: Zeile 1:
-====== Elektrophysiologie ====== +====== 8. Elektrophysiologie ====== 
-Die (ophthalmologische) Elektrophysiologie dient der objektiven Erfassung neuronaler Signale der Sehbahn. Die Signale der Nervenzellen einzelner Verarbeitungsstufen (In der Netzhaut: Zapfen, Stäbchen, Bipolar-, Horizontal-, Amakrin-, Ganglien-Zellen; korrekte oder fehlerhafte Projektion in den Visuellen Kortex V1, …) werden durch geeignete spezifische visuelle Reize (Blitz, Muster-Umkehr/Erscheinen, Farbe, Bewegung, …) und gezielte Platzierung der Elektroden auf oder um den Augen bzw. über der Sehrinde mehr oder minder isoliert, um hierüber Ihre Funktion im Sehprozess messen zu können.+Die (ophthalmologische) Elektrophysiologie dient der Erfassung elektrischer Signale der Sehbahn. Teilweise können Signale der Nervenzellen einzelner Verarbeitungsstufen (In der Netzhaut: Zapfen, Stäbchen, Bipolar-, Horizontal-, Amakrin-, Ganglien-Zellen; korrekte oder fehlerhafte Projektion in den Visuellen Kortex V1, …) durch spezifische visuelle Reize (Blitz, Muster-Umkehr/Erscheinen, Farbe, Bewegung, …) und gezielte Platzierung der Elektroden auf oder um den Augen bzw. über der Sehrinde objektiv gemessen und hierüber Informationen über Ihre Funktion im Sehprozess gewonnen werden. Hauptprobleme sind Artefakte, komplexe gegenseitige Überlagerung der Signale und verändertes Verhalten in Krankheitssituationen.
  
-===== Methoden =====+===== 8.1 Methoden =====
  
 Die derzeit klinisch vorwiegend angewendeten elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden umfassen Die derzeit klinisch vorwiegend angewendeten elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden umfassen
Zeile 9: Zeile 9:
   * Pattern-Elektroretinogramm – PERG   * Pattern-Elektroretinogramm – PERG
   * Elektrookulogramm – EOG   * Elektrookulogramm – EOG
-  * Visuell evozierte Potenziale – VEP (Muster-VEP, Blitz-VEP)+  * Visuell evozierte Potenziale – VEP (Blitz-VEP, Muster-VEP, Albino-VEP)
   * Multifokales VEP – mfVEP   * Multifokales VEP – mfVEP
-===== Grundlegende Voraussetzungen für Durchführung und Beurteilung elektrophysiologischer Untersuchungen =====+===== 8.2 Grundlegende Voraussetzungen für Durchführung und Beurteilung elektrophysiologischer Untersuchungen =====
  
-Grundlegende Voraussetzungen +Grundlegende Voraussetzungen
-  * Beherrschen der Methoden +  * Aktueller medizinischer Gerätestandard 
-  * Patientenvorbereitung +  * Beherrschen der Methoden 
-  * Durchführung und Auswertung nur im Kontext mit weiteren okulären Befunden +  * Kalibrierung und Normwerte 
-  * Aktueller medizinischer Gerätestandard +  * Patientenvorbereitung 
-  * Normwerte +  * Dokumentation 
-  * Dokumentation.+  * Durchführung und Auswertung nur im Kontext mit weiteren ophthalmologischen Befunden 
 +Die Durchführung und Beurteilung elektrophysiologischer Untersuchungen erfordert eine intensive Einarbeitung in die Methodik und deren Ablauf, das Wissen um mögliche Fehlerquellen und deren Behebung, die Kenntnis von Normwerten und Befundvariabilität beim Gesunden, sowie Erfahrungen und Wissen über Befunde bei okulären und zerebralen Erkrankungen
  
-Die Durchführung und Beurteilung elektrophysiologischer Untersuchungen erfordert eine intensive Einarbeitung in die Methodik und deren Ablauf, das Wissen um mögliche Fehlerquellen und deren Behebung, die Kenntnis von Normwerten und Befundvariabilität beim Gesunden, sowie Erfahrungen und Wissen über Befunde bei okulären und zerebralen Erkrankungen. Von ebenso großer Bedeutung ist der einfühlsame Umgang mit den Patienten, da deren optimale Mitarbeit bei den zeitaufwendigen und für den Patienten anstrengenden Untersuchungen Voraussetzung für verwertbare Befunde sind. Bei Kindern kann das Untersuchungsprotokoll je nach Kooperation gegebenenfalls verkürzt werden. Falls bei Kleinkindern eine Untersuchung nur in Narkose möglich ist, muss vorher abgewogen werden, ob der erwartete diagnostische Nutzen eine Narkose rechtfertigt. +Von ebenso großer Bedeutung ist der einfühlsame Umgang mit den Patienten, da deren optimale Mitarbeit bei den zeitaufwendigen und für den Patienten anstrengenden Untersuchungen Voraussetzung für verwertbare Befunde sind. Bei Kindern oder anderweitig in der Kooperation eingeschränkten Personen kann das Untersuchungsprotokoll gegebenenfalls verkürzt werden. Falls eine Untersuchung trotz erfahrener Untersucher nur in Narkose oder Sedierung möglich ist, muss vorher sorgsam abgewogen werden, ob der erwartete diagnostische Nutzen die Durchführung rechtfertigt – dies ist heutzutage sehr selten der Fall.
  
-Grundsätzlich sollte der Einsatz elektrophysiologischer Methoden sowie die Beurteilung der Untersuchungsergebnisse nur erfolgen, wenn eine ausführliche Anamnese und weitere ophthalmologische Befunde (mindestens Visus, Refraktion, Befund vom vorderen und hinteren Augenabschnitt) vorliegen, da ansonsten Ableitungsfehler oder fehlerhafte Interpretationen der Befunde auftreten können. Die diagnostisch korrekte Einordnung elektrophysiologischer Befunde ist daher nur in der Gesamtbetrachtung aller relevanter Befunde einschließlich Anamnese möglich. (Weitere, ergänzende relevante Befunde können sein: Farbensehen, Gesichtsfeld, Fixation, orthoptischer Status, Dunkeladaptometrie, Dämmerungssehen, Blendempfindlichkeit, Kontrastsehen, Fundusautofluoreszenz, Angiographie, Optische Kohärenztomografie, Ultraschall.)+Grundsätzlich sollten elektrophysiologische Methoden nur eingesetzt werden, wenn vorab eine ausführliche Anamnese und weitere sinnvolle ophthalmologische Befunde (mindestens Visus, Refraktion, Befund vom vorderen und hinteren Augenabschnitt) vorliegen, da ansonsten unpassende Methoden, Ableitungsfehler oder fehlerhafte Interpretationen der Befunde auftreten können. Für die diagnostisch korrekte Einordnung elektrophysiologischer Befunde sollten alle vorhandenen Informationen im Gesamtbild berücksichtigt werden: Anamnese und Befunde wie Fixation, orthoptischer Status, Gesichtsfeld, Farbensehen, Dunkeladaptometrie, Dämmerungssehen, Blendempfindlichkeit, Kontrastsehen, Optische Kohärenztomografie, Fundusautofluoreszenz, Ultraschall und ggf. Angiographie.
  
-Die Geräte müssen den aktuellen medizinischen Gerätestandards für elektrische Geräte für die Untersuchung am Menschen entsprechen. Laboreigene Normwerte sind nötig, um Befunde beurteilen zu können. Angewandte Methode, Untersuchungsablauf und Ergebnisse müssen dokumentiert werden.+Die Geräte müssen den aktuellen medizinischen Gerätestandards für elektrische Geräte für die Untersuchung am Menschen entsprechen. Sofern eine zur Normwerterhebung identische Durchführung nicht absolut gesichert ist, sind laboreigene Normwerte  nötig, um Befunde korrekt beurteilen zu können. Angewandte Methode, Untersuchungsablauf und Ergebnisse müssen nachvollziehbar dokumentiert werden.
  
 +===== 8.3 International Society for Clinical Electrophysiology of Vision (ISCEV) =====
  
-===== International Society for Clinical Electrophysiology of Vision (ISCEV) =====+Wegen der Komplexität der o.g. Anforderungen verwaltet die International Society for Clinical Electrophysiology of Vision (ISCEV) Leitlinien und Standards für jedes einzelne Untersuchungsverfahren. Diese nennen detailliert die Methode, technischen Voraussetzungen, Ableitungsbedingungen, Patientenvorbereitung, Untersuchungsablauf, Datenerhebung und -präsentation. Auch technische Details der Kalibrierung und erweitere Untersuchungsprotokolle finden sich dort.
  
-Zur Sicherung der Qualität elektrophysiologischer Untersuchungen und zur Vergleichbarkeit der Untersuchungsergebnisse ist es erforderlich, dass die angewandten elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden den Anforderungen der Leitlinien und Standards der International Society for Clinical Electrophysiology of Vision (ISCEV) entsprechen. Die Empfehlungen der ISCEV werden regelmäßig überarbeitet und aktualisiert. Für jede einzelne oben aufgeführte elektrophysiologische Untersuchungsmethode gibt es einen eigenen ISCEV-Standard, der detailliert auf die Methode, technischen Voraussetzungen, Ableitungsbedingungen, Untersuchungsablauf, Patientenvorbereitung, Datenerhebung und -präsentation eingeht. Alle Standards, sowie die Leitlinien für elektrophysiologische Diagnostik, technische Details der Kalibrierung und erweitere Untersuchungsprotokolle finden sich auf der “Standards”-Seite des Internetauftritts der ISCEV: [[http://iscev.org/standards|ISCEV-Standards]]. +Die ISCEV überarbeitet diese Leitlinien und Standards regelmäßig und stellt sie auf der “Standards”-Seite ihres Internetauftritts zur Verfügung: [[http://iscev.org/standards|ISCEV-Standards]]. Um die Qualität und Vergleichbarkeit elektrophysiologischer Untersuchungen bzw. ihrer Ergebnisse sicherzustellen, müssen diese eingehalten und dies in den Befunden bestätigt werden.  
-===== Literatur – ISCEV-Standards und Leitlinien =====+ 
 +Für spezielle Fragestellungen werden von der ISCEV erweiterte Protokolle vorgeschlagen.  
 + 
 +Laboreigene Methoden zur klinischen Diagnostik zu nutzen, die nicht wissenschaftlich umfassend getestet und begründet sind, ist nicht zu rechtfertigen. Untersuchungen anderer Fachdisziplinen, insbesondere aus der Neurologie, beachten diese Leitlinien in der Regel nicht (z. B. Muster-VEP) und liefern daher ggf. nur bedingt vergleichbare Ergebnisse. 
 + 
 +===== 8.4 Literatur ===== 
 +==== ISCEV-Leitlinien und -Standards ====
    
-Alle Standards sind hier erreichbar: https://iscev.wildapricot.org/standards+  * Leitlinie zur Auswahl der geeigneten Methoden[[https://iscev.wildapricot.org/standards#guide2procedures|Guide to Procedures]], [[https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10633-017-9621-y.pdf|als PDF]]
  
-  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#EOG|EOG]] +  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards|Kalibrierung]]
-<code>Constable PA, Bach M, Frishman L, Jeffrey BG, Robson AG (2017) ISCEV Standard for Clinical Electro-oculography (2017 update). Doc Ophthalmol 134(1):1–9</code> +
-<code>[Erratum (switch to open access, correction of one axis label in a figure): Constable PA, Bach M, Frishman LJ, Jeffrey BG, Robson AG; International Society for Clinical Electrophysiology of Vision (2017) Erratum to: ISCEV Standard for clinical electro-oculography (2017 update). Doc Ophthalmol 134(2):155]</code>+
  
-  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#ERG|ERG]] + 
-<code>McCulloch DL, Marmor MF, Brigell MG, Hamilton R, Holder GE, Tzekov R, Bach M (2015) ISCEV Standard for full-field clinical electroretinography (2015 update). Doc Ophthalmol 130:1–12</code> +Alle Standards sind hier erreichbar: https://iscev.wildapricot.org/standards, insbesondere: 
-<code>[Erratum: Table 1 in the above publication gives an incorrect number as the lower bandpass for dark-adapted OPs. The correct value is “75 Hz”, as correctly stated on page 8, 2nd paragraph.]</code>+ 
 +  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#standards_ERG_anchor|ERG]]
  
   * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#mfERG|Multifokales ERG]]   * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#mfERG|Multifokales ERG]]
-<code>Hoffmann MB, Bach M, Kondo M, Li S, Walker S, Holopigian K, Viswanathan S, Robson AG (2021) ISCEV standard for clinical multifocal electroretinography (mfERG) (2021 update). Doc Ophthalmol 142:5–16</code> 
  
-  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#PERG|Pattern-ERGPERG]] +  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#standards_PERG_anchor|Pattern-ERG PERG]]
-<code>Bach M, Brigell MG, Hawlina M, Holder GE, Johnson MA, McCulloch DL, Meigen T, Viswanathan S (2013) ISCEV standard for clinical pattern electroretinography (PERG) – 2012 update. Doc Ophthalmol 126:1–7</code>+
  
-  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#VEP|VEP]] +  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#standards_EOG_anchor|EOG]]
-<code>Odom JV, Bach M, Brigell M, Holder GE, McCulloch DLL, Mizota A, Tormene AP (2016) ISCEV standard for clinical visual evoked potentials – (2016 update). Doc Ophthalmol 133(1):1–9</code>+
  
-  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#Calibration and Recording|Kalibrierung]] +  * [[https://iscev.wildapricot.org/standards#standards_VEP_anchor|VEP]]
-<code>Brigell M, Bach M, Barber C, Moskowitz A, Robson J (2003) Guidelines for calibration of stimulus and recording parameters used in clinical electrophysiology of vision. Doc Ophthalmol 107:185–193</code>+
  
-  * Leitlinien + 
-[[https://iscev.wildapricot.org/standards#guide2procedures|Guide to Procedures]] [[https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s10633-017-9621-y.pdf|PDF]] +==== Deutsche Übersichtsarbeiten ==== 
-<code>Robson AG, Nilsson J, Li S, Jalali SFulton AB, Tormene AP, Holder GE, BrodieSE (2018ISCEV guide to visual electrodiagnostic proceduresDoc Ophthalmol 136:126.</code>  + 
-===== Geräteübersicht =====+  * Hoffmann MB, Heinrich SP, Thieme H, Al-Nosairy KO (2018) Mit klinischer Elektrophysiologie hinter die Netzhaut. Klin Monbl Augenheilkd 235:1229–1234. https://doi.org/10.1055/a-0715-8072 
 + 
 +  * Kühlewein LStingl K (2024Elektrophysiologie in der AugenheilkundeOphthalmologie 121:10011010https://doi.org/10.1007/s00347-024-02134-1 
 + 
 +===== 8.5 Geräteübersicht =====
  
   * [[Elektrophysiologie-Geräte]]   * [[Elektrophysiologie-Geräte]]
 +
 +\\
 +**[[EL_TXT_Elektrophysiologie|zur Hauptseite Elektrophysiologie]]**\\
 +**[[start|zur Startseite]]**
 +