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7. Dunkeladaptometrie

Ausgehend von einer sehr hellen Umfeldbeleuchtung prüft die Dunkeladaptometrie den Anpassungsvorgang des visuellen Systems an völlige Dunkelheit. Die Lichtempfindlichkeit wird anhand der Angaben des Patienten ermittelt, dem mit wechselnder Intensität ein Lichtreiz dargeboten wird. Die Steigerung der Lichtempfindlichkeit um mehr als den Faktor 1010 ist eine gemeinsame Leistung von Photorezeptoren, Pigmentepithel, retinalem Netzwerk und zentraler Signalverarbeitung (Übersicht in Hess et al., 1990).

Dunkeladaptation ist der Anpassungsvorgang des visuellen Systems an Dunkelheit. In der Dunkeladaptometrie wird dieser Vorgang durch wiederholte Bestimmung der Wahrnehmungsschwelle untersucht. Ausgangspunkt ist eine definierte Umfeldbeleuchtung, die einen bestimmten Anteil des Pigments bleicht, d.h. reversibel inaktiviert. Der Ausdruck „gebleichtes“ Pigment entspringt der frühen Beobachtung, dass die Retina unter Lichteinfluß abblasst: durch die Aktivierung der Photopigmente und die sich anschließende Reaktionskette ändern sich deren Absorptionseigenschaften. Nach Ausschalten der Umfeldbeleuchtung beginnt die Retina, sich an die Dunkelheit zu adaptieren, und die Untersuchung wird solange fortgesetzt, bis die maximale Lichtempfindlichkeit (Absolut- bzw. Endschwelle) erreicht ist.

Die alleinige Bestimmung der Endschwelle ohne vorangehende Pigmentbleichung ist der „richtigen“ Dunkeladaptometrie in mehrfacher Hinsicht unterlegen:

  1. Die Leistungsfähigkeit der Pigmentregeneration wird nicht in ihrem vollen Umfang geprüft.
  2. Da der Ausgangszustand kaum definiert ist, ist die Sensitivität des Verfahrens für das Aufspüren einer verzögerten Adaptation geringer.
  3. Aufgrund der fehlenden Information über den Verlauf der Anpassung können Störungen des Zapfensystems unentdeckt bleiben.
  4. Aus dem gleichen Grund kann eine pathologisch erhöhte „Endschwelle“ nur unbefriedigend interpretiert werden. Wenn die Wahrnehmungsschwelle nicht über einen ausreichend langen Zeitraum untersucht wird, ist noch nicht einmal bekannt, ob tatsächlich die Endschwelle (die maximale Empfindlichkeit) erreicht ist, oder eine verlangsamte Dunkeladaptation vorliegt.

Die Dunkeladaptometrie leistet Hilfe bei der Diagnostik oder Verlaufskontrolle von

  • Erkrankungen der Netzhaut mit genetischer Ursache (z.B. Retinitis pigmentosa und RP- assoziierte Syndrome, Kongenitale Stationäre Nachtblindheit, Fundus albipunctatus, Oguchi Krankheit, Morbus Stargardt, Achromatopsie),
  • bei entzündlichen Erkankungen (z.B. posteriore Uveitis),
  • einer Behandlung mit retinotoxischen Medikamenten (z.B. Chloroquin, Ethambutol),
  • Exposition gegenüber retinotoxischen Stoffen (z.B. Eisenoxid) oder
  • bei subjektiven Beschwerden (z.B. „Nachtblindheit“ oder Anpassungsstörungen an Dunkelheit).

Vor Beginn der eigentlichen Untersuchung ist zu klären, ob der Patient in den zurückliegenden 24 Stunden einer außergewöhnlichen Lichtbelastung ausgesetzt war, die die Dunkeladaptation beeinträchtigen würde (z.B. Fundusphotographie oder Messung der Fundusautofluoreszenz). Es ist weiterhin zu empfehlen, den Patienten schon vor der Dunkeladaptometrie am besten eine halbe Stunde lang einer deutlich geringeren Umgebungshelligkeit, z.B. weniger als 0,01 cd/m2 auszusetzen. Die Pupille wird weitgestellt und, da ihre Durchtrittsfläche die retinale Beleuchtungsstärke beeinflußt, der Durchmesser vor und nach der Pigmentbleichung dokumentiert. Am Adaptometer ist, falls dies erforderlich ist, die Korrektion für die bestehende Meßentfernung einzusetzen.

Die Einweisung des Patienten, sinnvollerweise anhand eines kurzen Testdurchlaufs ohne Pigmentbleichung, verbessert die Zuverlässigkeit der Antworten. Bei einfühlsamer Durchführung können bereits Kinder im Grundschulalter zuverlässig untersucht werden. Für die Qualität der erhobenen Schwellendaten ist es wichtig, daß die Versuchsperson ein konstantes Antwortkriterium beibehält, sich also weder besonders anstrengt, noch unaufmerksam wird. Weiterhin muß auf das Phänomen von Nachbildern hingewiesen und die Versuchsperson angeleitet werden, nur dann den Taster zu drücken, wenn sie relativ sicher das Aufleuchten des Testreizes beobachtet.

Die Dunkeladaptometrie beginnt mit der Bleichung von etwa 80% des Stäbchen- und 70% des Zapfenpigments. Niedrigere Bleichungen führen zu einer undeutlicheren Ausprägung der Zapfenadaptation und des Kohlrausch-Knicks, während intensivere Bleichung bei pathologisch verzögerter Dunkeladaptation zu einer deutlichen Verlängerung der Adaptationsdauer führt und die Aussagekraft der Untersuchung nicht entscheidend erhöhen. Idealerweise wird die Bleichung mit einem Ganzfeld durchgeführt, damit der anzubietende Testreiz nicht von einem ungebleichten Netzhautareal gesehen wird. Das Helladaptationsfeld muß auf jeden Fall deutlich größer sein als der Testreiz, wobei die mögliche Detektion des Reizes anhand des Streulichts zu bedenken bleibt. Die Bleichung sollte mit einer nach CIE D65 weißen Lichtquelle (Farbtemperatur 6500° K) durchgeführt und der Blauanteil durch einen Gelbfilter (z.B. Schott OG 530, 2 mm) reduziert werden, da dies das Gefühl der Blendung, den Umfang der Bildung von Photopigmentzwischenprodukten und potentiell schädliche photochemische Vorgänge reduziert. Wird ein Gelbfilter verwendet, ist für die Umrechnung von photopischen in skotopische Trolands ein Umrechnungsfaktor erforderlich, der die unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit von Zapfen und Stäbchen berücksichtigt. Für eine Lichtquelle mit einer dominanten Wellenlänge von 578 nm wird bei einer retinalen Beleuchtungsstärke (Pupillenlichtstärke) von 104,77 skotopischen Troland (105,18 photopischen Troland) nach 3 min das gewünschte Gleichgewichtsverhältnis von gebleichtem zu ungebleichtem Pigment erreicht (Alpern, 1971; Hollins and Alpern, 1973; Kaiser und Boynton, 1996, Wyszecki und Stiles, 1982). Alternativ ist mit wesentlich höherer Intensität für weniger als 30 Sekunden eine schnelle Bleichung möglich.

Die Position des Patienten relativ zum Adaptometer wird durch eine Positionierungshilfe (Kopf- und Stirnstütze) sichergestellt. Zur Schwellenbestimmung wird ein Testreiz 14º nasal im Gesichtsfeld angeboten. Befindet sich an dieser Stelle, an der die Dichte der Stäbchen am höchsten (Curcio et al., 1990) und die Wahrnehmungsschwelle am niedrigsten ist, ein Skotom, sollte an eine andere Stelle mit gleicher Exzentrizität ausgewichen werden. Der Abbildungsort des Testreizes auf der Netzhaut wird durch die relative Position eines roten Fixationslichts bestimmt, dessen Intensität so nachgeführt wird, daß er nicht mehr als dreimal so hell (+0,5 log) ist, wie zu seiner Wahrnehmung erforderlich wäre. Das Adaptometer muß den Testreiz in Helligkeitsschritten von 0,1 log anbieten können. Die technisch mögliche Leuchtdichte der Testreize sollte relativ zu der mittleren Endschwelle von Normalpersonen einen Bereich von 0,5 log dunkler bzw. 5 log heller umfassen. Der Testreiz sollte mindestens 3º Durchmesser haben, neutral weiß oder grün (507 nm) sein und nicht häufiger als einmal pro Sekunde für 0,1 s als Rechteck-Impuls angeboten werden. Eine einfache Unterscheidung der Zapfen- und Stäbchenantwort ist mit einem zusätzlich alternierend angebotenem langwelligen (roten) Reiz möglich, der fast auschließlich mit Hilfe der Zapfen wahrgenommen wird.

Ein Testreiz gilt als erkannt, wenn der Patient den Signaltaster innerhalb eines vorgegebenen Zeitfensters (z.B. 0,1 s bis 1,5 s) betätigt hat. Mit einer Schwellenstrategie wird die Schwellenleuchtdichte, bei der 50% der Darbietungen erkannt werden, und möglichst ein Maß für die Zuverlässigkeit dieser Angabe ermittelt. Dies geschieht bis zur 3. Minute alle 30 Sekunden, bis zur 20. Minute jede Minute und anschließend alle zwei Minuten. Die Dunkeladaptationsbestimmung sollte bis zur 40. Minute fortgesetzt werden, bei sichtbarer Verzögerung der Adaptation unter Anpassung von Pausen entsprechend länger.

An erster Stelle der Fehlermöglichkeiten steht die ungenügende Mitarbeit der Patienten, an die die Dunkeladaptometrie hohe Anforderungen stellt. Schlechte Motivation, fehlendes Verständnis oder Ermüdung können die Dunkeladaptometrie zu einem sinnlosen Unterfangen machen. An zweiter Stelle stehen Fehler bei der Bleichung des Sehpigments, entweder durch Änderungen der Eintrittsöffnung (Nystagmus, Blinzeln, Zukneifen der Lider, unberücksichtigte Synechien, die die Pupillendurchtrittsfläche verengen) oder durch eine vorbestehende Bleichung nach anderen Untersuchungen oder Lichtbelastungen. Bei Sprüngen in der Adaptationskurve oder unerklärlich hohen Schwellenwerten ist an ungenügende oder wechselnde Fixation zu denken (parazentrale Fixation, Nystagmus, Unaufmerksamkeit). Schließlich sei auf die Möglichkeit hingewiesen, daß das untersuchte Netzhautareal nicht repräsentativ für die durchschnittliche Funktion der Netzhaut ist, z. B. wenn im Bereich eines relativen Skotoms gemessen wurde.

Voraussetzung für einen validen Befund ist die regelmäßige Kalibrierung des Adaptometers und die vollständige Angabe der Untersuchungsbedingungen. Die ermittelten Schwellen sollten im Logarithmus der nach der spektralen Empfindlichkeitskurve der Stäbchen (V'(λ)) gewichteten Pupillenlichtstärke erfolgen (Einheit: skotopische Troland). Diese ist das Produkt aus der (skotopischen) Leuchtdichte (cd/m2) und der Pupillendurchtrittsöffnung (mm2) und beschreibt die retinale Beleuchtung. Zu jeder Schwelle sollte eine Einschätzung der Zuverlässigkeit der Angaben und der (bevorzugt alterskorrelierte) Normbereich angeführt werden.

Es ist dringend empfehlenswert, schon während der Messung die bereits erhobenen Daten graphisch darzustellen. Dies macht es für den Untersucher einfacher, die Konsistenz der Antworten einzuschätzen, Probleme zu erkennen und, wenn möglich, zu beheben, und bei einem atypischen Verlauf den richtigen Zeitpunkt zum Beenden der Messung zu wählen. Für den abschließenden Befund empfiehlt sich eine kombinierte graphische und tabellarische Angabe der Zeiten, Schwellen und Zuverlässigkeitswerte. Neben der Schwelle während des Zapfenplateaus und der Endschwelle sollte angegeben werden, in welchem Umfang der Verlauf der Zapfen- oder Stäbchenadaptation gegenüber der Norm verzögert ist.

Die Qualitätsansprüche sind dem Text und den Tabellen zu entnehmen.

  1. Alpern M (1971) Rhodopsin kinetics in the human eye. Journal of Physiology 217: 447-471
  2. Bungart K. (1961) Dunkeladpatationsprüfung am Hemispherenperimeter. Vortrag bei der Jahrestagung der Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, in: W. Jaeger (Ed.), Bericht über die 63. Zusammenkunft in Berlin 1960, 63:281-285, München, J F Bergmann
  3. Curcio CA, Sloan KR, Kalina RE, Henrickson AE (1990) Human photoreceptor topography. The Journal of Comparative Neurology 292: 497-523
  4. Friedburg C (1997) Zeitliche und räumliche Charakteristika der Detektion visueller Einzelreize während Hell- und Dunkeladaptation. Med. Dissertation, Eberhard- Karls-Universität Tübingen
  5. Friedburg C, Sharpe LT, Beuel S, Zrenner E (1998) A computer-controlled system for measuring dark adaptation and other psychophysical functions. Graefe's Archive for Clinical and Experimental Ophthal-mology 236: 31-40
  6. Hall JL (1981) Hybrid adaptive procedures for estimation of psychometric functions. Journal of the Acoustical Society of America 69: 1763-1769
  7. Harms H. (1961) Die Bedeutung einer einheitlichen Prüfweise aller Sehfunktionen. Vortrag bei der Jahrestagung der Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, in: W. Jaeger (Ed.), Bericht über die 63. Zusammenkunft in Berlin 1960, 63: 281-285, München, J F Bergmann
  8. Hess RF, Sharpe LT, Nordby K (1990) Night vision: basic, clinical and applied aspects. Cambridge Uni-versity Press, Cambridge, New York, Port Chester, Melbourne, Sydney
  9. Hollins M und Alpern M (1973) Dark adaptation and visual pigment regeneration in human cones. Jour-nal of General Physiology 62, 430-447
  10. Jayle GE, Ourgaud AG, Holmes WJ, Duke-Elder S (1959) Night vision. Thomas Books, Springfield, Illinois
  11. Jacobson SG, Voigt WJ, Parel J-M, Apathy PP, Nghiem-Phu L, Myers SW, Patella M (1986) Automated light- and dark adapted perimetry for evaluating retinitis pigmentosa. Ophthalmology 93, 1604-1611
  12. Kaiser PK und Boynton RM (1996) Human color vision (2nd edition). Optical Society of America, Washington, San Francisco: 213
  13. Sérey L, Rilk A, Beuel S, Friedburg C, Sharpe LT, Zrenner E (1998) Dark adaptation goggles. Investiga-tive Ophthalmology and Visual Science 39: 401
  14. Sérey L (1999) Adaptometrie mit der Dunkeladaptationsbrille. Med. Dissertation, Eberhard- Karls-Universität Tübingen
  15. Sloan LL (1971) The Tübinger Perimeter of Harms and Aulhorn. Archives of Ophthalmology 86: 612-622
  16. Treutwein B (1995) Adaptive Psychophysical Procedures. Vision Research 35: 2503-2522
  17. Wyszecki G und Stiles WS (1982) Color Science: Concepts and methods, quantitative data and formulae (2nd edition). John Wiley & Sons, New York: 588-590


Darüber hinaus sind folgende Geräte bekannt, jedoch bislang nicht evaluiert:

  • SST-1: Scotopic Sensitivity Tester (Fa. LKC Technologies, Gaithersburg, MD, USA)
  • Roland Consult Dark Adaptometer


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